Jenseits von Pauschalreisen und Massentourismus in Kenia
20.07.
Es ist ein großer, ein gewaltiger Unterschied, das steht fest. Ein himmelweiter Unterschied sogar besteht zwischen abstrakten Fernsehbildern von Hunger und Elend und dem selbst sehen, hören, riechen – erleben. Unser Besuch gestern bei Mara hat nicht nur zu Mitleid gerührt, sondern wachgerüttelt. Wieso rege ich mich eigentlich auf, wenn der Sprit schon wieder 2 Cent teurer geworden ist? Oder meine Lieblingssalami im Supermarkt ausverkauft ist?
Aber ich berichte lieber von Anfang an: Maras Dorf, das wir mit einem der vielen Sammeltaxis, so genannten Matatus, erreichen, liegt am Stadtrand von Ukunda. Hütten, zum Teil aus Wellblech, manche auch aus Stein, enge, staubige Pfade, Hühner und viele Kinder – das ist der erste Eindruck. Unser Weg führt uns durch eines der Einkaufsviertel. In Wellblechhütten wird alles querbeet angeboten: von Bananenstauden, rohem, von Fliegen belagerten Fleisch über Handys, Autobatterien und Friseurdienstleistungen – bunt gemischt und eng gedrängt gibt es eine Vielfalt an Waren zu kaufen. Aus jeder Bude dröhnt andere Musik, dazu die vielen verschiedenen Gerüche, Menschen, die sich an uns vorbeidrängen und uns, die einzigen Weißen, anstarren – die vielen Eindrücke sind fast zuviel für mich und ich halte Hannes‘ Hand ein bisschen zu fest. Mara lotst uns aber sicher durchs Gedränge und verscheucht allzu aufdringliche Bettler.
Bald sind wir in einer ruhigeren Wohngegend angekommen. Mara zeigt uns eine Pflanze, die im Ort als ein Allheilmittel gilt: ob Magenprobleme, Schnupfen oder Rheuma – ein Aufguß aus den Blättern des mannshohen Strauchs kuriere einfach alles. Nur gut, das Ratiopharm die Pflanze noch nicht kennt, sonst gäbe es sie nicht mehr kostenlos, denke ich mir…aber mal ganz ernsthaft: wer sich keine Medikamente leisten kann, der greift auf das zurück, was da ist.
Nach etlichen Weggabelungen und Richtungswechseln versagt mein ohnehin nur kümmerlich ausgebildeter Orientierungssinn völlig und ich weiß nicht mehr, wie wir allein zurückfinden sollten. Das mich leise beschleichende Unbehagen unterdrücke ich: Pole, pole, kein Problem – es ist nur ein Besuch bei einem Bekannten…trotzdem sind die teils misstrauischen, teils unfreundlichen Blicke aus Fenstern und Hütteneingängen, die ich auf mir zu spüren meine, unangenehm. Ich bin erleichtert, als Mara auf ein kleines Steinhaus zeigt und sagt: „Hier wohnen wir.” Wow, denke ich – so übel scheint es ihm nicht zu gehen, immerhin hat die Familie ein eigenes Häuschen! Wie falsch ich liege, merke ich nach dem Betreten des Flures. Etliche Zimmer zweigen von ihm ab, ohne Türen, sondern nur mit bunten Vorhängen abgetrennt. Das erste Zimmerchen rechts bewohnt Mara mit seinen zwei Stiefgeschwistern, Mutter Zani und Stiefvater. Etwa 20 Quadratmeter für 5 Personen! Aber da es ein Steinhaus mit gutem Dach ist, bleibt zumindest die Feuchtigkeit draußen, erklärt mir Maras Mutter, eine erstaunlich jung aussehende Frau, in holperigem Englisch. Sie ist zum ersten Mal mit 14 oder 15 Mutter geworden, sagt sie – ihr genaues Alter kennt sie nicht. Wir sitzen auf einem ziemlich verschlissenen Sofa, vor uns ein Tisch, in der Ecke ein großes Doppelbett und ein Schrank. Etliche Regale mit Alltagsgegenständen sind an der Wand verteilt. Gekocht wird auf dem Flur, sagt Mara und zeigt mir stolz einen kleinen Propangaskocher, der an der Wand steht und auf dem das Abendessen in einem Topf vor sich köchelt. Er hat ihn von seinem letzten Gehalt gekauft, vorher blieb nur die Gemeinschaftsfeuerstelle im Freien für das Zubereiten der Mahlzeiten. Immerhin, es gibt Strom – meistens jedenfalls. Sogar einen Fernseher gibt es. Ich schätze, das betagte Gerät ist so alt wie ich, aber es funktioniert. Und auch wenn die Bildqualität, nach europäischen Maßstäben, einfach nur eine Katastrophe ist, ist das Gerät Maras ganzer Stolz.
Seinen Stiefvater lernen wir nicht kennen, er arbeitet als Gärtner im Baobab-Hotel am Diani Beach. Das bedeutet einen täglichen Fußweg von insgesamt fast 5 Stunden, denn öffentliche Verkehrsmittel oder ein Fahrrad sind im Familienbudget nicht drin. Mara erzählt, das sein Stiefvater gegen 5 Uhr morgens das Haus verlässt und abends selten vor 21 Uhr daheim ist. Auch Maras eigener Arbeitstag ist nicht viel kürzer. Insgesamt bringen die beiden Männer einen Monatslohn von umgerechnet etwa 60 – 70 Euro nach Hause – das ist Durchschnitt in Kenia. Mir fallen die vielen Vorurteile vom faulen Afrikaner ein, die ich schon gehört und gelesen habe und ich bekomme mal wieder eine Riesenwut im Bauch.
Nachdem wir unsere Gläser mit Wasser geleert haben, verlassen wir alle das stickige Zimmer – Mara will uns die Gegend zeigen und seine Familie begleitet uns. Natürlich sind wir als weiße Besucher DIE Attraktion und Mara möchte uns den Nachbarn zeigen, das verstehe ich. Die kleine Aisha, 1 Jahr alt und die Jüngste in der Familie Zani, kommt im typisch afrikanischen Tragetuch auf den Rücken der Mutter, der fünfjährige Ali nimmt Hannes‘ Hand wir gehen erneut in Richtung Einkaufsviertel. Frau Zani bleibt an mehreren Ständen stehen und es dauert eine Weile, bis bei mir der Groschen fällt: sie hofft, das ich mich an den Lebensmitteleinkäufen beteilige, ist aber zu stolz zum Bitten. Zusammen kaufen wir Mais, Bohnen, Milchpulver und Schokoriegel für die Kinder. Das Essen ist viel preiswerter als bei uns, wenn man es aber mit dem Verdienst ins Verhältnis setzt, immer noch teuer – ich bestehe darauf, den ganzen Einkauf zu bezahlen und frage Mara leise, ob er sonst noch etwas braucht.
Nein, alles bestens, versichert er mir, er freue sich einfach nur, daß wir ihn besucht haben.
Dann ist es Zeit für den Heimweg, der Nachmittag ist schon fortgeschritten und im Dunkeln möchte ich, Begleitung hin oder her, nicht mehr in Ukunda unterwegs sein. Nach vielen Dankeschöns und Umarmungen verlassen wir Familie Zani und gehen mit Mara Richtung Matatu-Stand. Im Sammeltaxi frage ich Mara schnell nach seiner Adresse – im Geiste habe ich bereits eine Liste mit nützlichen Dingen für die Familie zusammengestellt, die man prima in ein Paket packen und verschicken kann.
Unseren letzten Abend heute, das wunderbare Essen im Hotel, die netten Gespräche, der malerische Blick über den Indischen Ozean – ich bin in Gedanken ganz woanders. Mich haben gestern nicht so sehr die Enge und die Armut bei Mara beschämt, sondern die ansteckende Fröhlichkeit und Gastfreundschaft der ganzen Familie. Wie sehr sind wir reichen Europäer doch verwöhnt! Das „Jammern auf hohem Niveau” ist schon so sehr Normalität, dass es einem selbst gar nicht mehr auffällt – es sein denn, es wird einem vor Augen geführt, wie gut man es eigentlich hat. Ich nehme mir ganz fest vor, demütiger zu werden. Und dankbarer.
21.07.
Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Unglaublich, wie schnell die Tage vergangen sind! Koffer packen, noch ein letztes Mal zum Strand – der Abschied, vor allem von Mara, fällt schwer.
Dann sitzen wir im Bus Richtung Mombasa. Ich habe einen dicken Kloß im Hals. Komisch, sonst freue ich mich nach jedem Urlaub auf Zuhause, meine Familie und unsere Katzen – aber der Urlaub in diesem Jahr war etwas Besonderes. Auch Hannes guckt bedrückt. Von seinen Fußballkumpels hat er sich gestern schon verabschiedet und ich habe versprochen, das geknipste Abschiedsfoto zu vervielfältigen und ganz, ganz schnell zu schicken.
Kwa heri Kenya, Auf Wiedersehen!
Wir kommen bestimmt wieder…
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